Bessere Versorgung von psychisch Kranken in Deutschland

31.07.2015 -  

Stationär, teilstationär oder ambulant – die Entscheidung für eine Behandlungsform sollte immer am Bedarf des Patienten ausgerichtet sein. Insbesondere bei Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen ist eine sektorenübergreifende und gut vernetzte Behandlung durch die einzelnen Leistungserbringer von größter Bedeutung für den Behandlungserfolg. Forscher des Instituts für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie (ISMG) der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg haben jetzt in einer Bietergemeinschaft mit Fachkollegen aus Dresden und Leipzig die Ausschreibung zur bundesweit einheitlichen Wissenschaftlichen Evaluation von Modellvorhaben zur sektorenübergreifenden Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen gewonnen. Im Fokus stehen dabei Effektivität, Kosten und Effizienz der Modellvorhaben und letztendlich ihr tatsächlicher Nutzen für eine bessere Behandlung psychisch kranker Kinder, Jugendlicher und Erwachsener.

In einer elfjährigen Evaluationsstudie werden unter Federführung von Versorgungsforschern (Leitung: Prof. Dr. Jochen Schmitt vom Zentrum für evidenzbasierte Gesundheitsforschung Dresden) und weiteren klinischen Partnern des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus der TU Dresden und dem Wissenschaftlichen Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung (WIG² GmbH) aus Leipzig die medizinischen und gesundheitsökonomischen Effekte von Modellvorhaben zur Stimulierung stationsersetzender, also teilstationärer oder ambulanter Leistungen bei Menschen mit psychischen Erkrankungen untersucht. Modellvorhaben gemäß §64b SGB V sollen die sektorenübergreifende Versorgung von Patienten im Krankenhaus verbessern, dazu können Krankenkassen mit psychiatrischen Krankenhäusern oder Fachabteilungen ein Gesamtbudget aus stationärem Krankenhausbudget und den Erlösen der Psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA) bilden.

Dr. Enno SwartGegenstand der Evaluation werden alle bisher vereinbarten Modellvorhaben (13 Modelle in sieben Bundesländern mit circa 26.000 Patienten) sein sowie alle Modellverträge, die bis zum 31. Dezember 2016 noch abgeschlossen werden. Insbesondere bei Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen ist eine sektorenübergreifende und gut vernetzte Behandlung durch die einzelnen Leistungserbringer von größter Bedeutung für den Behandlungserfolg. Die Sektorentrennung in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen soll im Rahmen der Modellverträge durchbrochen werden, in dem in den beteiligten Krankenhäusern die ökonomischen Anreize so verändert werden, dass eine Behandlung vermehrt am tatsächlichen Bedarf des Patienten ausgerichtet wird.

Wichtige Aspekte sind dabei die Förderung ambulanter, alternativer Behandlungsangebote, die auch eine komplexe psychiatrische Behandlung im häuslichen Umfeld zulassen, während gleichzeitig monetäre Fehlanreize für stationäre Behandlungen vermindert werden sollen. Dies wird erreicht, indem das Setting der Behandlung – stationär, teilstationär oder ambulant – keinen Einfluss auf das Gesamtbudget hat. Das den Modellvorhaben zugrundeliegende Konzept deckt sich mit dem aktuell vielfach diskutierten Konzept der Value-Based-Health-Care. Ziel der wissenschaftlichen Evaluation ist die Messung von Effektivität, Kosten und Effizienz der Modellvorhaben zur Verbesserung der Versorgung von psychisch kranken Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.

Vorgesehen ist eine prospektive und retrospektive sekundärdatenbasierte – das heißt  auf Abrechnungsdaten der GKV basierende - Parallelgruppenstudie. Die Interventionsgruppe der jeweiligen Modellkliniken wird jeweils mit einer geeigneten Kontrollgruppe verglichen, das heißt mit Patienten aus Kliniken, die nicht Teil der Modellverträge sind.

Die gesetzlichen Krankenkassen und ihre Verbände haben sich auf Basis des §65 SGB V auf ein einheitliches Vorgehen geeinigt, alle Modelle einheitlich nach höchsten wissenschaftlichen Standards evaluieren zu lassen. Im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung wurde von allen beteiligten Krankenkassen gemeinsam ein geeignetes wissenschaftliches Institut ausgewählt. Die Verständigung auf einen einheitliches Evaluationskonzept ist einmalig und in dieser Form im deutschen Gesundheitswesen bislang noch nicht initiiert worden. Maßgeblich für den Zuschlag war unter anderem die Expertise des ISMG bei der wissenschaftlichen Nutzung von Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung. Auf diesem Gebiet gehört das ISMG zu den führenden Einrichtungen in Deutschland.

Die Evaluation der Modellvorhaben ist nicht nur aufgrund des dazu vorliegenden gesetzlichen Auftrages von besonderes Bedeutung, sondern auch da Systeminnovationen im deutschen Gesundheitswesen auf Grundlage der evidenzbasierten Medizin hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile gegenüber der bisherigen Versorgung überprüft werden müssen. Erst wenn die Versorgungsinnovationen diese wissenschaftliche und objektive Bewertung bestehen, sind sie dazu geeignet, flächendeckend umgesetzt zu werden. In einem „lernenden Gesundheitssystem“ dienen wissenschaftliche Evaluationen zudem dazu, Verbesserungspotenziale aufzudecken und rasch in der Versorgung zu implementieren.

Das Projekt ist für eine Laufzeit bis Ende 2025 ausgelegt, die ersten Zwischenberichte sollen zum Ende des Jahres 2016 vorliegen. An den drei Standorten werden vier Mitarbeiter über die nahezu elfjährige Laufzeit beschäftigt sein.

Projektleiter am ISMG:
Dr. Enno Swart
Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie
Medizinische Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Tel.: 0391 67-24306

Letzte Änderung: 11.12.2017 - Ansprechpartner: Webmaster