Prof. Tüting im Corona-Interview

09.03.2021 -  

Zugelassene Impfstoffarten, mögliche Nebenwirkungen und aktuelle COVID-Forschung:

Wir haben Prof. Tüting, Leiter der Universitätshautklinik und Prodekan für Forschung an der UMMD, die wichtigsten Fragen zur aktuellen Impfsituation gestellt.

Die globale Herausforderung der COVID-19 Pandemie hat die Entwicklung zahlreicher neuer Impfstoff-Formate von vielen verschiedenen Firmen angeregt. Bereits angewendet werden 3 Impfstoff-Kandidaten. Als erstes zugelassen wurden zwei mRNA-Impfstoffe der Firmen Biontech und Moderna. Bei diesen Impfstoffen handelt es sich um synthetisch im Labor hergestellte Partikel, die ähnlich wie das SARS-CoV-2 Virus selbst die Erbinformation für das Eiweiß der Oberflächen-Struktur des Virus in den Organismus einbringen. In der Folge wird dieses Eiweiß von Körperzellen gebildet und vom Immunsystem als sogenanntes Antigen erkannt. Diese mRNA-Impfstoffe wirken also wie künstliche Viren.

Der dritte, kürzlich zugelassene Impfstoff der Firma AstraZeneca ist ein sogenannter Vektor-Impfstoff und besteht aus einem genetisch im Kern veränderten, äußerlich intakten, für den Menschen harmlosen Erkältungsvirus von Schimpansen. Es bringt ebenfalls die Erbinformation für das Eiweiß der Oberflächen-Struktur des SARS-CoV-2 Virus in den Organismus ein und stimuliert so eine Antwort des Immunsystems. Es kann sich selbst dabei nicht mehr vermehren. Ein weiterer, ähnlicher Vektor-Impfstoff der Firma Johnson & Johnson steht kurz vor der Zulassung. Dieser Impfstoff ist bereits nach einer Gabe wirksam.

Nach aktuellen Angaben der WHO befinden sich weitere 73 Impfstoff-Kandidaten in klinischen Studien am Menschen und weitere 182 in der vorklinischen Entwicklung (Aufruf der Webseite am 25.2.2021: https://www.who.int/publications/m/item/draft-landscape-of-covid-19-candidate-vaccines). Hierbei werden weitere Impfstoff-Arten verwendet, darunter Konstrukte aus künstlich hergestellten Eiweißen und inaktivierte SARS-CoV-2 Virus-Partikel.

Die Zulassung der verschiedenen Impfstoff-Kandidaten von den Behörden beschränken die Anwendung. Keiner der aktuell verfügbaren Impfstoffe wurde bisher bei Kindern angewendet. Die Studien mit dem Vektor-Impfstoff der Firma AstraZeneca wurde nur an 18-64 Jahre alten Probanden durchgeführt. Entsprechend ist der Impfstoff in Deutschland vorrangig dieser Altersgruppe vorbehalten. Für die Schwangerschaft und die Stillzeit liegen bei keinem der Impfstoffe ausreichende Daten vor. Patienten mit einer Allergie gegenüber Polyethylenglycol sollten keine mRNA-Impfstoffe bekommen, da Polyethylenglycol in den künstlichen Virus-Partikeln enthalten ist.

Wie bei jeder anderen Impfung, wird auch bei der Impfung gegen das SARS-CoV-2 Virus das Immunsystem angeregt. Häufig kommt es zu lokalen Schmerzen und Schwellungen im Bereich der Impfung, gelegentlich auch zu Lymphknotenschwellung. Stärkere Impfreaktionen ähneln einem grippalen Infekt mit allgemeinem Krankheitsgefühl, Fieber, Gliederschmerzen und Schüttelfrost. Eine Impfung völlig ohne Beschwerden ist selten. Die Impfrekationen sind meist mild. Sie dauern meist nur einen Tag, selten auch zwei Tage. Abhilfe schafft eine symptomatische Behandlung mit Entzündungshemmern wie Paracetamol oder Ibuprofen.

Bei den mRNA-Impfstoffen von Biontech und Moderna treten bei der ersten Impfung meist nur geringe Nebenwirkungen auf, am häufigsten Schmerzen im Bereich der Impfung. Bei der Folgeimpfung treten gelegentlich Allgemeinreaktionen auf. In extrem seltenen Fällen treten allergische Reaktionen auf Polyethylenglykol auf (ca. 5 mal bei 1 Million Impfungen).
Bei dem Vektor-Impfstoff der Firma AstraZeneca zeigen sich Grippe-ähnliche Allgemeinsymptome häufig schon bei der ersten Impfung, da es sich äußerlich um ein echtes Erkältungsvirus handelt. Die zweite Impfung verläuft meist mit nur geringen Beschwerden.
Über Langzeitfolgen und die mögliche Auslösung oder Verschlechterung anderer Erkrankungen liegen aktuell für keine der Impfstoffe aussagekräftige Erkenntnisse vor.

Diese Skepsis gründet sich zum Teil auf die Ergebnisse in den Zulassungsstudien. Dabei traten bei Probanden, die den Vektor-Impfstoff von AstraZeneca erhielten, etwas häufiger COVID-19 Erkrankungen auf, als bei Probanden, die einer der beiden mRNA-Impfstoffe erhielten. Viel wichtiger ist aber der Schutz vor schweren Erkrankungsverläufen, die eine Behandlung im Krankenhaus erzwingen und auch zum Tod führen können. Soweit bisher bekannt, wirken hier alle aktuellen Impfstoffe sehr gut und verhindern schwere Verläufe fast vollständig. Bei der Gruppe der über 65-jährigen haben die mRNA-Impfstoffe eine unerwartet gute Wirksamkeit gezeigt. In dieser Altersgruppe war die Studienlage für den Vektor-Impfstoff statistisch schlechter. Deshalb wird den über 65-Jährigen eine mRNA-Impfung empfohlen.

Ein weiterer Grund für die aktuelle Skepsis stellen die oben beschriebenen, etwas häufiger auftretenden Impfreaktionen nach der ersten AstraZeneca Impfung dar. Diese Symptome sollten jedoch als Teil der Wirkung betrachtet werden, auf die man sich einstellen kann.

In der aktuellen Impfverordnung der Bundesregierung steht: „Sofern Impfstoffe von der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut ausschließlich für Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, empfohlen werden, sollen diese Personen vorrangig mit diesen Impfstoffen versorgt werden.“ Dies betrifft aktuell den Vektor-basierten Impfstoff von AstraZeneca. Da aktuell nicht alle Impfstoffe zur Verfügung stehen, kann nicht nach persönlichen Vorlieben gewählt werden.

COVID-19 kann eine schwerwiegende Erkrankung sein, die einen Krankenhausaufenthalt erzwingen und gelegentlich mit dem Tod enden kann. Außerdem treten häufig langanhaltende gesundheitliche Beschwerden (Long-COVID) auf. Die bisherigen Behandlungsmöglichkeiten sind unzureichend.

Durch die Impfung werden schwere Erkrankungsverläufe weitgehend verhindert. Außerdem wird hochwahrscheinlich auch die Ausbreitung des Virus eingedämmt.

Die bisherigen Erkenntnisse haben gezeigt, dass alle 3 aktuell verwendeten Impfstoffe sehr gut vertragen werden. Nur sehr selten traten unerwünschte Nebenwirkungen auf. Das Risiko einer akuten allergischen Reaktion war insgesamt viel geringer als ursprünglich angenommen.

Erste Ergebnisse der Impfungen mit dem mRNA Impfstoff der Firma BionTech in Israel haben die gute Wirksamkeit bestätigt. Bei Geimpften wurden kaum schwere Erkrankungsverläufe und eine deutlich verminderte Ansteckungsfähigkeit beobachtet.

Die Impfung führt zur Ausbildung von Antikörpern, die das Virus erkennen und neutralisieren. Außerdem werden Abwehrzellen gebildet, die Virus-infizierte Körperzellen erkennen und die Virusvermehrung behindern. Insofern wird eine „Immunität“ gegen das Virus aufgebaut. Diese Immunität verhindert schwere Krankheitsverläufe, kann aber eine erneute, oft kaum spürbare, milde Infektion der Schleimhäute im Nasen-Rachen-Raum nur bremsen. 

Mutationen in der Erbinformation treten bei SARS-CoV-2 Viren häufig auf und sind nichts Ungewöhnliches. Durch die Mutationen kann auch das Eiweiß der Oberflächen-Struktur leicht verändert werden. Die durch die aktuellen Impfstoffe stimulierten Antikörper binden dann mit etwas verminderter Stärke. Gleichzeitig wird aber die Bildung von Abwehrzellen angeregt, die unvermindert wirksam sein sollten. Entsprechend wirken die Impfstoffe nach bisherigen Erkenntnissen auch gegen mutierte SARS-CoV-2 Viren, wenn auch ggf. etwas weniger effektiv. Sofern notwendig, können die mRNA Impfstoffe innerhalb weniger Wochen auf neue Mutationen angepasst werden.

Wie oben dargelegt, vermindert eine Impfung die Vermehrung und Ausbreitung des Virus in infizierten Schleimhäuten. Eine Übertragung des Virus ist trotzdem möglich, wenn auch deutlich unwahrscheinlicher.

Die aktuell für die COVID-19 Impfung verwendeten Impfstoff-Arten auf der Basis von mRNA und von genetisch veränderten Erkältungsviren befinden sich seit vielen Jahren in der experimentellen Entwicklung zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionen und Krebserkrankungen. Insofern sind die Methoden keineswegs neu. Überdies konnte bei der Entwicklung eines COVID-19-Impfstoffs auf Forschungsarbeiten aufgebaut werden, die bereits Impfstoffe gegen andere Coronaviren erprobt haben, beispielsweise gegen SARS-CoV-1 und MERS-CoV. Diese dem SARS-CoV-2 ähnlichen Coronaviren waren Auslöser der SARS-Epidemie 2002/2003 und der MERS (Middle-East-Respiratory-Syndrom)-Epidemie in 2012.

Die größte Herausforderung bei der Entwicklung von COVID-19 Impfstoffen besteht in der Durchführung effektiver klinischer Studien, in der die Sicherheit und die Wirksamkeit von Impfstoff-Kandidaten geprüft wird. Derartige Studien müssen an vielen Tausend Probanden durchgeführt und die Ergebnisse sorgfältig dokumentiert werden. Hierzu bedarf es zahlreicher hochspezialisierter Mitarbeiter und eine effiziente Organisation durch Führungskräfte mit Erfahrung in der Impfstoff-Entwicklung.

Unter normalen Verhältnissen erfordert die Vorbereitung und Durchführung von klinischen Studien in den verschiedenen Phasen mehrere Jahre. Bei einer Eilzulassung werden die gleichen Studien mit der gleichen Anzahl an Testpersonen gefordert. Bei der Eilzulassung erfolgt die Bewertung der Ergebnisse schneller und es werden vorläufige Studienergebnisse mitbetrachtet. Weitere Informationen finden sich auf der Webseite des Paul Ehrlich Instituts:

https://www.pei.de/DE/service/faq/coronavirus/faq-coronavirus-node.html

Die vergleichsweise rasche Entwicklung neuer Impfstoffe gegen das SARS-CoV-2 Virus beruht im Wesentlichen auf vier Säulen:

1. die über die letzten drei Jahrzehnte mit den Methoden der Gen-Technologie experimentell-wissenschaftlich entwickelten, innovativen Impfstoff-Verfahren (unter anderem auf der Basis von mRNA, rekombinanten Viren und rekombinanten Proteinen)

2. die von der US-amerikanischen Regierung im Rahmen der „Operation Warp Speed“ finanziell geförderte, öffentlich-private Zusammenarbeit bei den großangelegten, effizient geführten, klinischen Studien, in denen die Sicherheit und die Wirksamkeit der Impfstoffe nachgewiesen werden konnte

3. die Möglichkeit einer beschleunigten Zulassung durch eine Verschränkung der verschiedenen Phasen der klinischen Studien und durch ein laufendes Bewertungsverfahren der eingereichten Unterlagen durch die zuständigen Behörden („Rolling Review“)

4. der Aufbau von Produktionskapazitäten für die Impfstoff-Herstellung sowie die Etablierung einer Infrastruktur für die Impfstoffverteilung und -applikation

Eine ähnliche Situation wie bei der globalen COVID-19 Pandemie hat es bislang meines Wissens noch nicht gegeben.

Letzte Änderung: 05.01.2022 - Ansprechpartner: Webmaster