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  Medizinische Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
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  PMI Nr: 46 / Datum: 07.06.2007

  Halluzinationen nach Hirnschäden
  Gibt es einen Zusammenhang zwischen visuellen Halluzinationen und Hirnschäden? Mit dieser Frage befassen sich Wissenschaftler am Institut für Medizinische Psychologie der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg. Über ihre Untersuchungen haben sie in der internationalen Fachzeitschrift "Neuropsychologia" berichtet.  
 
Ein von Alexander Lurija, dem wichtigsten Begründer der Neuropsychologie, beschriebener Fall war Sassetzki, ein Hirnverletzter, der unter einer Fülle neurologischer Ausfälle litt, darunter eine Teilblindheit, sowie schwere Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen. Sassezki litt auch unter sonderbaren Halluzinationen: "Sobald ich die Augen zumachte, sah ich etwas Seltsames - ein menschliches Gesicht mit riesigen Ohren, wie mir schien, und mit ebenso merkwürdigen Augen. Oder mir erschienen einfach verschiedene Gesichter, Gegenstände und Räume. Also machte ich schnell die Augen wieder auf."  
 
In dem Beitrag in "Neuropsychologia" fand das Wissenschaftlerteam um Dr. Dorothe Poggel am Magdeburger Uni-Institut für Medizinische Psychologie (Direktor: Prof. Dr. Bernhard Sabel) heraus, dass solche Trugbilder im Wesentlichen nicht nur zu Zeiten der Spontanerholung auftreten, also in den wenigen Tagen und Wochen nach einer Hirnschädigung sondern auch viele Jahre später wieder induziert werden können.  
 
Schon der Jenaer Neurologie-Professor Kölmel hatte darauf hingewiesen, dass solche irrealen Wahrnehmungen oft ein Zeichen dafür sind, dass sich teilblinde Bereiche nach einem Schlaganfall erholen. Besonderes Interesse hatten die Forscher daher an der Frage, ob sich durch ein visuelles Stimulationstraining (VRT) nicht nur das Gesichtsfeld erweitern lässt, sondern ob damit verbunden auch Halluzinationen viele Jahre nach der Spontanerholung wieder ausgelöst werden können. Dies könnte dann ein Zeichen von „heilenden Änderungen“ (neuronale Plastizität) des Sehhirn sein, welche durch die Stimulation induziert wird.  
 
In zwei Einzelstudien wurden (a) 121 Patienten retrospektiv befragt und (b) 19 Patienten prospektiv untersucht, die für mindestens sechs Monate an einem Gesichtsfeldtraining teilgenommen hatten. Tatsächlich hatten viele Betroffene in ihrem eigentlich blinden Areal Trugbilder gesehen, besonders häufig Farbflächen oder sich bewegende Objekte, die aber nach Ende der Spontanremission in der Regel verschwanden. Im Verlauf des Sehtrainings tauchten sie dann aber häufig wieder auf.  
 
Dr. Poggel konnte nachweisen, dass die irrealen Lichtblitze und Phosphene um so häufiger wahrgenommen wurden, je ausgeprägter die Verbesserung des blinden Gesichtsfeldes war. Diese „Trugbilder“ traten interessanterweise aber nicht im vollständig blinden Bereich auf, sondern eher in teilgeschädigten Übergangsbereichen auf, die trainiert worden waren. Die Autoren gehen daher davon aus, dass Halluzinationen während eines Gesichtsfeldtrainings kein krankhaftes Zeichen sind, sondern ganz im Gegenteil, dass sie vielmehr ein wichtiger Indikator für Verbesserungen und einer Veränderbarkeit („Plastizität“) des visuellen Systems unterstreichen. Wie eine Patienten anmerkte: „Ich habe das Gefühl, als ob sich in meinem Gehirn neu verschaltet“.  
 
Quelle: Zeitschrift "Neuropsychologia" Volume 45, Issue 11, 2007, Pages 2598-2607  
Vollversion des Artikels online unter: http://dx.doi.org/10.1016/j.neuropsychologia.2007.03.005  
 
Titel: VISUAL HALLUCINATIONS DURING SPONTANEOUS AND TRAINING-INDUCED VISUAL FIELD RECOVERY  
Journal: Neuropsychologia, Vol. 45, Ausg. 11 (2007) Seite 2598-2607  
Authors: Dorothe A. Poggel, Eva Müller-Oehring, Janna Gothe, Sigrid Kenkel, Erich Kasten & Bernhard A. Sabel  
 
Kontakt für Rückfragen:  
Institut für Medizinische Psychologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  
http://www.med.uni-magdeburg.de/fme/institute/imp/  
 


 

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