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  Medizinische Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
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  PMI Nr: 48 / Datum: 18.06.2008

  Magdeburger Immunologen kommen der Aufklärung eines medizinischen Desasters ein Stück näher
  Hier sehen Sie einen Film, der das lang anhaltende Calziumsignal in humanen T-Lymphozyten nach Stimulation mit CD28-Superagonisten zeigt:  
 
 
Magdeburger Immunologen ist es gelungen, erstmals eine molekulare Erklärung für die dramatischen Nebenwirkungen, die der CD28 Superagonist TGN1412 in einer klinischen Phase I-Studie erzeugt hat, zu liefern.  
 
Am 13. März 2006 wurde im Rahmen einer klinischen Phase I Studie am Northwick-Hospital in London (Großbritannien) sechs gesunden Probanden ein monoklonaler anti-CD28 Antikörper mit dem Namen TGN 1412 intravenös appliziert. Trotz vorangegangener extensiver präklinischer Versuche, die auch eine Testung von Cynomolgus- und Rhesusaffen beinhaltete und von den Tieren ohne sichtbare Nebenwirkungen toleriert wurde, löste der Antikörper bei allen sechs Probanden innerhalb kürzester Zeit einen lebensbedrohlichen Zytokinsturm aus, der klinisch nur extrem schwer beherrschbar war und bei einigen Probanden aller Wahrscheinlichkeit nach bleibende Schäden hinterlassen wird. Der London-Zwischenfall zählt zu den schwersten Arzneimittelunfällen der letzten Jahrzehnte und hat weltweite intensive Diskussionen in Bezug auf die Zulassung von neuen und biologisch aktiven Medikamenten ausgelöst.  
 
Bei TGN1412 handelt es sich um einen sogenannten superagonistischen CD28 Antikörper. Im Gegensatz zu „konventionellen“ CD28 Antikörpern, die die T-Zellaktivierung zwar unterstützen können aber alleine verabreicht nicht in der Lage sind, T-Zellen vollständig zu aktivieren, können CD28 Superagonisten sowohl im Reagenzglas (in vitro) als auch im lebenden Organismus (in vivo) eine komplette Aktivierung von T-Zellen initiieren.  
 
Überraschenderweise induzierten die CD28 Superagonisten sowohl in Ratten als auch im Mäusen in den präklinischen Experimenten eine schnelle und starke Expansion so genannter regulatorischer T-Zellen. Obwohl diese Population von T-Zellen normalerweise nur 4–8 % aller T-Zellen ausmacht ist sie für die Aufrechterhaltung der Balance des Immunsystems essentiell. Dies liegt daran, dass die regulatorischen T-Zellen in der Lage sind, die Aktivität der „konventionellen“ T-Zellen zu unterdrücken und so die Immunantwort insgesamt negativ zu beeinflussen.  
 
Die starke Expansion der regulatorischen T-Zellen nach Applikation von CD28 Superagonisten konnte in Ratten und Mausmodellen sehr erfolgreich zur Therapie von Autoimmunerkrankungen wie z.B. der Multiplen-Sklerose oder der rheumatoiden Arthitis eingesetzt werden. Basierend auf diesen vielversprechenden Daten gingen die Wissenschhaftler davon aus, dass CD28 Superagonisten auch im Menschen zur Therapie von Autoimmunerkrankungen eingesetzt werden könnten. Diese Hypothese führte zur Entwicklung des humanisierten CD28 Superagonisten TGN1412, dessen erster klinischer Einsatz jedoch auf dramatische Weise gezeigt hat, dass der Mechanismus, der der Wirkung der CD28 Superagonisten im Ratten- und Maussystem zu Grunde liegt im Menschen nicht zu greifen scheint, und dass das menschliche Immunsystem auf superagonistsiche CD28 Antikörper offensichtlich vollkommen anders reagiert als das Immunsystem von Ratten, Mäusen und Affen.  
 
Der London-Zwischenfall wird erhebliche Konsequenzen für die Zulassung neuer Medikamente und auch für die zukünftige praktische Durchführung von klinischen Phase I Studien haben. Neben den damit verbundenen Sicherheitsaspekten steht für die Immunologen die Frage im Raum, warum das menschliche Immunsystem und das Immunsystem von Nagern und Affen so extrem unterschiedlich auf die Applikation dieser Antikörper reagieren. In Kooperation mit dem Paul-Ehrlich Institut in Langen (dies ist die Bundesbehörde, die die Zulassung des TGN1412 Antikörpers für Deutschland koordiniert hatte), ist es Magdeburger Immunologen nun gelungen, erstmals eine molekulare Erklärung für die dramatische Beeinflussung des menschlichen Immunsystems durch TGN1412 und andere CD28 Superagonisten zu liefern. So konnten die Wissenschaftler zeigen, dass TGN1412 in menschlichen T-Zellen eine extrem lang anhaltende Erhöhung des intrazellulären Calziumspiegels induziert.  
 
 
Da Calzium ein Schlüsselmolekül für die T-Zellaktivierung darstellt führt die lang anhaltende Erhöhung der Calziumkonzentration dazu, dass in den T-Zellen sehr viele intrazelluläre Signalwege dauerhaft angeschaltet werden. Dies führt letztendlich zu einer extrem starken T-Zellaktivierung und zur Ausschüttung von großen Mengen pro-inflammatorischer Zytokine, insbesondere Interferon-gamma, TNF-alpha, IL4 u.a.. Letztere stellt die Ursache für die schweren Nebenwirkungen des TGN1412 im Menschen dar. Aus bisher nicht vollständig geklärten Gründen findet die massive Zytokinsynthese, die im Menschen zu beobachten ist in Ratten, Mäusen oder Affen nicht statt.  
 
Interessanterweise war Ausgangspunkt für die Arbeiten mit dem TGN1412 Antikörper ein systembiologisches Forschungsprojekt, welches die Magdeburger Immunologen in den letzten Jahren in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für die Dynamik komplexer technischer Systeme und dem Institut für Mathematische Optimierung durchgeführt hatten. Im Rahmen des durch die Exzellenzinitiative des Landes Sachsen-Anhalt im universitären Forschungszentrum Dynamische Systeme geförderten Projektes, sollte ein Modell erstellt werden, welches die Mechanismen der T-Zellaktivierung mathematisch beschreibt (Saez-Rodrigues et al., PLoS Comput Biol., 3:e163, 2007, Wang et. al., J Immunol., 180:6703-6712). Während der Arbeit an dem Modell wurde den beteiligten Wissenschaftlern sehr schnell klar, dass sich die molekulare Organisation des CD28-vermittelten Signalwegs in menschlichen T-Zellen von der des gleichen Signalwegs in Maus T-Zellen deutlich unterscheidet. Diese Beobachtung führte letztendlich dazu, die pharmakologische Wirkung des TGN1412 Aks im Humansystem systematisch mit biochemischen und zellbiologischen Methoden zu analysieren.  
 
Die Daten, die die Wirkung von TGN1412 in humanen T-Zellen beschreiben wurden von den Magdeburger Immunologen in der Aprilausgabe der Online-Zeitschrift "PLoSONE" veröffentlicht Waibler et. al., PLoSONE, 3:e1708, 2008). In der Mai-Ausgabe der hochrangigen immunologischen Zeitschrift "Immunity" diskutieren sie weiterhin, worin ihrer Meinung nach die Unterschiede zwischen dem Human- und den Affen- bzw. Maussystem bestehen und warum CD28-Superagonisten im Menschen die Wirkungen zeigen, die zu dem verheerenden Zwischenfall in London geführt haben (Schraven and Kalinke, Immunity, 28: 591-595, 2008).  
 
Neben ihren systembiologischen Arbeiten möchten die Magdeburger Immunologen in der Zukunft offene Fragen angehen, die mit der pharmakologischen Wirkung von CD28 Superagonisten in Zusammenhang stehen. Hierzu sollen unter anderem auch so genannte humanisierte Mäuse eingesetzt werden, also Mäuse, die ein humanes Immunsystem tragen. Von den Untersuchungen in den humanisierten Tieren versprechen sich die Immunologen neue Einblicke in die spezies-spezifische Regulation der Immunantwort. Auch könnten solche Experimentalsysteme in der Zukunft dazu eingesetzt werden, unerwartete Nebenwirkungen neuer Medikamente bereits in der präklinischen Phase, also vor der ersten Anwendung im Menschen vorherzusagen und so die Sicherheit von „First in Man Studien“ erheblich erhöhen. Das Projekt ist Teil einer neuen SFB-Initiative, die an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität initiiert wurde und sich mit den molekularen Mechanismen der zellulären Kommunikation im Immunsystem befassen soll. Sprecher und Initiator der Initiative ist Prof. Dr. med. B. Schraven, Leiter des Instituts für Molekulare und Klinische Immunologie.  
 
Literatur:  
1.) Saez-Rodriguez, J., Simeoni, L., Lindquist, J.A., Hemenway, R., Bommhardt, U., Arndt, B., Haus, U.-U., Weismantel, R., Gilles, E.D., Klamt, S., and Schraven, B. A logical model provides insights into T-cell receptor signaling. PLoS Computational Biology, 3, 1580-1590, (2007).  
2.) Wang, X., Simeoni, L., Lindquist, J.A., Saez-Rodriguez, J., Ambach, A., Gilles, E.D., Kliche, S., Schraven, B. Dynamics of proximal signaling events after TCR/CD8-mediated induction of proliferation or apoptosis in mature CD8+ T cells. J. Immunol., 180:6703-6712, (2008).  
3.) Waibler, Z., Sender, L.Y., Merten, C., Hartig, R., Kliche, S., Gunzer, M., Reichardt, P., Kalinke, U. and Schraven, B. Signaling signatures and functional properties of anti-human CD28 superagonistic antibodies. PLoS ONE, 5:e1708, (2008).  
4.) Schraven, B. and Kalinke, U. CD28 superagonists: what makes the difference in humans? Immunity, 28:591-595, (2008).  


 

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