Dr. Dieter Class

Dr. med. Dieter Class ist bereits seit 2007 Oberarzt an der Universitätsklinik für Neurochirurgie mit Schwerpunkt unter anderem in der Kinderneurochirurgie. Er berichtet uns von einem Auslandsprojekt, das er seit vielen Jahren betreut und das, wie er sagt, ohne die Hilfe eines Teams an der UMMD kaum so erfolgreich wäre.

Lieber Dr. Class, Sie arbeiten an der UMMD in der Neurochirurgie – was ist das Besondere an Ihrer Arbeit hier?

Das Besondere an der Arbeit hier ist die Möglichkeit, klinische Tätigkeit und wissenschaftliches Arbeiten zu kombinieren. Es ergab sich für mich die Perspektive, meine bisherige Tätigkeit als Oberarzt in einem akademischen Lehrkrankenhaus in Stuttgart nun in Magdeburg im universitären Rahmen fortzusetzen.

Dr. med. Dieter Class

Foto: Dr. med. Dieter Class, Oberarzt an der Universitätsklinik für Neurochirurgie.
Fotografin: Sarah Kossmann/UMMD

Sie engagieren sich privat und fliegen seit vielen Jahren nach Kamerun, um dort fachärztlich zu helfen. Erzählen Sie uns, wie es dazu kam und wo genau Sie dort aushelfen?

Seit Beginn meiner neurochirurgischen Ausbildung 1987 hatte ich das große Privileg, an namhaften, gut ausgestatteten Kliniken zu lernen und später als Oberarzt tätig zu sein, zuletzt hier in Magdeburg. Nur diesem glücklichen Umstand verdanke ich, dass ein Engagement in einem Land wie Kamerun, wo man Kenntnisse und Erfahrungen mitbringen muss, überhaupt möglich und sinnvoll ist.

Dieses Privileg und der Umstand, dass einer großen Zahl von kranken Kindern und Erwachsenen vielfach nur eine kleine Zahl von medizinischen Einrichtungen gegenübersteht, brachte mich zu der Frage: Was kann ich tun, um einen Ausgleich zu schaffen und Brücken zu bauen – in beide Richtungen?

Mein damaliger kinderneurochirurgischer Chef im Katharinenhospital in Stuttgart, Herr Dr. Michilli, und ich sprachen immer wieder über ein solches Projekt und während der Zeit in Magdeburg kam schließlich über eine befreundete Familie eine Verbindung mit Herrn Professor Dr. Pius Tih, dem Direktor des Healthservice der Cameroon Baptist Convention (CBC), zustande. Er ist Herz und Seele des Projekts in Kamerun, verschiedene Krankenhäuser, die unter seiner Leitung stehen, konnte ich seit 2010 besuchen.

Übrigens, weil Sie von „privat“ sprachen: Sicher bin ich derjenige, der sich von hier nach da auf den Weg macht, doch möchte ich betonen, dass ich viel Unterstützung für dieses Projekt bekomme, nicht zuletzt von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier und im Land selbst, denen ich an dieser Stelle auch einmal herzlich danken darf.

Wann waren Sie das erste Mal dort und in welchen Abständen fliegen Sie hin?

Zum ersten Mal 2010. Ich versuche, mindestens einmal im Jahr nach Kamerun zu fahren. In der Zwischenzeit haben wir einen sehr regelmäßigen Kontakt und Austausch.

Sind Sie allein oder im Team unterwegs?

Zunächst von hier aus allein, aber in Kamerun immer als Teil eines Teams. Aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier an der UMMD stehen und standen mir mit Rat und Tat zur Seite, auch wenn es darum geht, individuelle Lösungen für einen Patienten vor Ort zu finden. Stellvertretend für alle möchte ich hier Simone Holste, Prof. em. Dr. Raimund Firsching und in seiner Nachfolge auf dem Lehrstuhl für Neurochirurgie Prof. Dr. I. Erol Sandalcioglu nennen.

Wie sieht Ihre Hilfe vor Ort konkret aus?

Ziel ist immer, sich dort einzubringen, wo und wie dies gerade für notwendig erachtet wird. Ich finde es wichtig, bei der Aus- und Weiterbildung im Operationssaal mitzuwirken, immer mit dem Ziel, dass die Kolleginnen und Kollegen einen Einblick in die Neurochirurgie bekommen, um möglichst selbst bei entsprechenden Krankheiten helfen zu können, wie zum Beispiel bei den häufigen Kopf- und Wirbelsäulenverletzungen. 

Welche Krankheitsbilder behandeln Sie in Kamerun? Und (wie) unterscheiden sich diese zu den Krankheiten, die Sie an der UMMD behandeln?

Man sieht viele Krankheitsbilder, die man auch hier kennt. Bei Kindern hingegen geht es vielfach um Erkrankungen, die hier sehr selten geworden sind, wie Missbildungen des Nervensystems, zum Beispiel Neuralrohrdefekte wie Spina bifida. Erwähnte Schädel-Hirn-Verletzungen, Wirbelsäulen- und  Rückenmarksverletzungen sind hier auch seltener geworden, dort jedoch sehr häufig zu behandeln – bedingt durch die Straßen- und Verkehrsverhältnisse vielerorts.

Auf welche Herausforderungen stoßen Sie bei Ihrer Arbeit dort? Und wie unterscheidet sich diese zu Ihrer Arbeit hier an der UMMD?

Eine Herausforderung ist sicher das Improvisieren, wir sind hier einen hohen Komfort gewohnt. Man lernt, mit den Dingen, die man verfügbar hat, das bestmögliche Ergebnis für den Patienten zu erzielen. Die Ärztinnen und Ärzte, die ich kennenlernen durfte, kompensieren manchen Mangel an Gerät und Technik mit brillanter klinischer Kenntnis und operativer Expertise, von denen ich immer wieder neu lerne und fasziniert bin. Eine andere Herausforderung ist – um ehrlich zu sein – manchmal das Abschiednehmen, doch mittels Internet und WhatsApp-Kommunikation bleiben wir in Verbindung und ich weiß, wie es den behandelten Patienten geht.

Ist Ihnen ein Patient/ein Erlebnis besonders im Gedächtnis geblieben? Erzählen Sie uns davon!

Was mich bis heute mit am meisten beschäftigt, ist eine junge Frau, die eine HIV-Infektion hatte und schwanger wurde. Sie gebar siamesische Zwillinge und entwickelte aufgrund einer Entzündung eine Querschnittslähmung. Wir haben noch versucht, durch eine Operation das Rückenmark zu entlasten, doch die Lähmung bestand bereits zu lange. Die Zwillinge sollten in Deutschland getrennt werden, wozu es dann aber nicht mehr kam, leider sind beide gestorben. Die Mutter blieb an den Rollstuhl gebunden und wurde von ihrem Mann – wohl wegen der HIV-Infektion – verlassen. Ich stand noch länger in Kontakt mit ihren Ärzten vor Ort, doch ihre Spur verlor sich irgendwann. Dies ist nur ein Beispiel von vielen emotionalen Geschichten.

Was nehmen Sie für Ihre Arbeit an der UMMD mit?

Die immer wieder erneuerte Erfahrung, wie wichtig es ist in gegenseitiger Wertschätzung, Achtung und Respekt miteinander und mit dem umzugehen, was man hat. Alles zu tun, um Brücken zu bauen und Lücken zu schließen, genauso wie gegenseitiges Vertrauen aufzubauen und es belastbar zu bewahren. Die Welt wächst zusammen und es gilt irgendwie der Hinweis: „one world or no world“.

Wann fahren Sie wieder hin?

Dieses Jahr, vermutlich im Frühsommer.

Vielen Dank. Wir wünschen Ihnen für Ihre weitere Arbeit alles Gute und vielleicht berichten Sie uns in der Zukunft noch einmal von Erfahrungen aus Kamerun (oder anderswo)!

Letzte Änderung: 28.03.2023 - Ansprechpartner: Webmaster