Wie kleine Mutationen das Knochenwachstum stören können
Erst kürzlich wurde Prof. Dr. Christoph Garbers auf die Professur für Experimentelle Pathologie am Institut für Pathologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (OVGU) berufen. Er und sein Team zeigen nun in einer in der Zeitschrift „Cell Reports“ erschienenen Arbeit, warum das Zytokin Interleukin-11 so eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Schädelknochen spielt.
Die Schädelentwicklung ist bei Säugetieren ein komplexer und fein regulierter Prozess. Der Hirnschädel, der eine stabile Hülle um das Gehirn bildet, besteht aus fünf Knochen, zwischen denen bei Neugeborenen Lücken, die Fontanellen, vorhanden sind. Erst im Laufe der ersten Lebensjahre schließen sich diese Lücken und der Hirnschädel verknöchert vollständig. Das stellt sicher, dass der Schädel weiter wachsen kann, während sich das Gehirn vergrößert. Schließen sich die Nähte hingegen vorzeitig, spricht man von einer Kraniosynostose, diese kommt etwa bei einem von 1 von 2.500 Neugeborenen vor.
Die Gruppe um Prof. Garbers hat nun einen Mechanismus entschlüsselt, der für diese Fehlbildung verantwortlich ist. Grundlage der Arbeit war die Tatsache, dass in den letzten Jahren mehrere Patienten beschrieben wurden, bei denen kleine Mutationen im Gen für den Interleukin-11-Rezeptor (IL-11R) vorliegen. Im Normalfall bindet der Botenstoff Interleukin-11 (IL-11) an den IL-11R auf der Zelloberfläche von Osteoblasten, also den Zellen, die beim Knochenumbau für die Bildung von neuem Knochengewebe zuständig sind. Nach der Bindung an IL-11 kommt es dann zur Weitervermittlung von Signalen im Zellinneren, die die Osteoblasten zur Bildung von neuem Knochengewebe anregen. Die Forscher konnten nun zeigen, dass die Mutationen verhindern, dass der IL-11R im Zellinneren korrekt fertiggestellt wird, dadurch wird er nicht bis zur Zelloberfläche transportiert, sondern bleibt im sogenannten endoplasmatischen Retikulum im Inneren der Zelle stecken. Das hat zur Folge, dass der klassische Signalweg – IL-11 bindet an IL-11R, IL-11R löst weitere Signale im Zellinneren aus, neues Knochengewebe wird gebildet – nicht mehr funktioniert, und eben dieser ist laut der Daten der Wissenschaftler für die normale Knochenentwicklung im Schädel verantwortlich.
Tatsächlich gibt es noch einen zweiten Weg, wie der Botenstoff IL-11 Signale vermitteln kann, nämlich durch Bindung an den löslichen Rezeptor, der also nicht mehr an die Oberfläche von Zellen gebunden ist, sondern frei im Gewebe vorliegt. Dieser Komplex aus IL-11 und seinem Rezeptor kann dann wiederum an ein Molekül auf der Oberfläche von Zellen binden und Signale im Inneren dieser Zellen auslösen. Prof. Garbers erläutert, warum die Tatsache, dass für den Knochenumbau nur der klassische, oben beschriebene Weg verantwortlich ist, so bedeutsam ist: „Derzeit wird in Phase-II-Studien ein Inhibitor dieses zweiten Signalweges, Olamkicept, erprobt, von dem man hofft, dass er zur Behandlung der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung Colitis ulcerosa eingesetzt werden kann. Unsere Ergebnisse zeigen nun, dass diese Therapie die normale Knochenentwicklung nicht beeinträchtigen sollte, weil diese über den klassischen Signalweg verläuft.“
Prof. Garbers leitet seit dem 1. Juli 2018 den Bereich Experimentelle Pathologie im Institut für Pathologie der OVGU. In der Universitätsmedizin Magdeburg ist er im Gesundheitscampus Immunologie, Infektiologie und Inflammation mit seiner Forschung optimal eingebunden und auch im Sonderforschungsbereich 854, der sich mit der molekularen Organisation der zellulären Kommunikation im Immunsystem beschäftigt, findet er zahlreiche Anknüpfungspunkte und mögliche Kooperationspartner für seine Arbeit.
Text: Dr. Martina Beyrau
Originalpublikation:
Agthe M, Brügge J, Garbers Y, Wandel M, Kespohl B, Arnold P, Flynn CM, Lokau J, Aparicio-Siegmund S, Bretscher C, Rose-John S, Waetzig GH, Putoczki T, Grötzinger J, Garbers C. Mutations in Craniosynostosis Patients Cause Defective Interleukin-11 Receptor Maturation and Drive Craniosynostosis-like Disease in Mice. Cell Rep. 2018 Oct 2;25(1):10-18.e5.
Link: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30282020
Foto: Prof. Dr. Christoph Garbers (Foto: privat)